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Fünf Bücher

Thorsten Nagelschmidt hat für uns aufgeschrieben, welche fünf Bücher ihn beim Schreiben seines Romans »Arbeit« beeinflusst haben: Von »Manhattan Transfer« über »Das Leben des Vernon Subutex« bis »Bullshit Jobs«.

John Dos Passos: Manhattan Transfer

Dos Passos´ Klassiker von 1925 bildet nicht nur erzählerisch, sondern auch in seiner collagenhaften Form das Wachsen und Werden der Mega-Metropole New Yorks ab. Einige Figuren werden über Jahrzehnte begleitet, andere verschwinden ganz plötzlich wieder, überall lose Fäden, eine ausschweifendes, protokollartiges Panorama. Zunächst habe ich meinen neuen Roman ähnlich angelegt, nur eben verdichtet auf eine einzige Nacht in Berlin. Erst relativ spät im Schreibprozess entschied ich mich, auf das chronologische Erzählen zu pfeifen und stattdessen jeder Figur ein eigenes Kapitel zu geben, wodurch sich ganz neue Rhythmen und Sounds ergaben.


Irina Liebmann: In Berlin

»In Berlin« erschien 1994 und erzählt von Ost- und West-Berlin, zwei Städten also, die es heute so nicht mehr gibt. Ein poetischer, atemloser Stakkato-Text, der mir geholfen hat, den Taxifahrer Bederitzky in »Arbeit« besser zu verstehen, der 1988 nach West-Berlin rübergemacht hat und sich in beiden Systemen falsch und wie ein Versager fühlt.


Sebastian Barry: Tage ohne Ende

Ein inhaltlich und sprachlich extrem mächtiger Western mit einer thematischen Bandbreite von Crossdressing und homosexuelle Vaterschaft bis Genozid, phänomenal übersetzt von Hans-Christian Oeser. Ich hatte mein Hostel-Kapitel schon geschrieben, als ich »Tage ohne Ende« las und auf einmal wusste, was meinem Hostelrezeptionisten Paule noch fehlte, so ein leicht anachronistischer Lonesome-Cowboy-Aspekt nämlich. Ich schrieb alles nochmal um und aus Paule wurde Sheriff. Ein Jahr später und nach Fertigstellung meines Romans las ich dann in Roberto Bolaños »Die wilden Detektive« von dem einzelgängerischen Nachtwächter auf einem französischen Campingplatz, der von allen nur Sheriff genannt wird, was einen schönen Kreis schließt.


Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex 1-3

Ich finde leider nicht alle Teile der Subutex-Trilogie gelungen, trotzdem hat mich das Potpourri an Stimmen beeindruckt und bei meiner Herangehensweise an »Arbeit« bestärkt, besonders was das tiefe Eintauchen in die unterschiedlichen sozialen und gesellschaftlichen Milieus angeht. Wie in dieser Hinsicht überhaupt in den letzten Jahren viel Interessantes aus Frankreich kam – Bücher von Annie Ernaux etwa, von Didier Eribon, Édouard Louis oder Nicolas Mathieu.


David Graeber: Bullshit Jobs

David Graeber ist ein US-amerikanischer Anthropologe und Anarchist, der in diesem Sachbuch das Phänomen untersucht, dass ein nicht unwesentlicher Teil von Beschäftigten sagt: Gäbe es meinen Job nicht, der Welt ginge es kein Stück schlechter. Viele dieser Menschen haben sogar eher gut bezahlte Jobs, in der Verwaltung, an Universitäten oder in der Finanzindustrie. Im Unterschied dazu sehen die meisten der Figuren in meinem Roman trotz prekärer Arbeitsverhältnisse durchaus Sinn in ihrer jeweiligen Tätigkeit. Meine Spätiverkäuferin Anna beispielsweise hat in einer Agentur gekündigt, auch weil sie nicht mehr dazu beitragen wollte, den Menschen sinnlosen Mist anzudrehen, den sie gar nicht brauchen. Da verkauft sie lieber Zeitschriften und Bier, auch wenn das deutlich schlechter bezahlt ist. Die Aspekte einer Klassenflucht nach unten und der Identifikation mit der Tätigkeit noch deutlicher herauszuarbeiten, dazu hat mich »Bullshit Jobs« inspiriert.

Thorsten Nagelschmidt, geboren 1976 in Rheine, ist Autor, Musiker und Künstler. Er ist Sänger, Texter und Gitarrist der Band Muff Potter und veröffentlichte die Bücher »Wo die wilden Maden graben« (2007), »Was kostet die Welt« (2010) und »Drive-By Shots« (2015). Zuletzt sind seine Romane »Der Abfall der Herzen« (2018) und ...

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