Interviews

»Manchmal bin ich fassungslos über das, was ich erlebe«

Der Schauspieler Uwe Preuss hat mit »Katzensprung« ein Buch mit autobiographischen Geschichten geschrieben. Es macht Lust, das eigene Leben bei den Hörnern zu packen, findet sein Lektor Jürgen Hosemann. Ein Gespräch.

Portrait des Autors Uwe Preuss
© Volker Roloff

JH: Sie waren Mitglied des Berliner Ensembles und spielen in Filmen und Serien mit, im »Polizeiruf« aus Rostock kann man Sie als Kommissariatsleiter Röder regelmäßig sehen. Und jetzt schreiben Sie plötzlich Ihr Leben auf?

UP: Im Freundes- und Bekanntenkreis waren die Worte schon länger da. Beim Erzählen. Die Menschen hören, aber sie hören nicht immer zu. Da hatte ich hin und wieder Glück. Dann kam die Aufforderung von manchem Gegenüber, das Gehörte doch mal aufzuschreiben. Das ließ mich irgendwann nicht mehr los. Nicht spektakulär also. Aber vielleicht folgerichtig.

JH: Aber Erzählen ist nicht das Gleiche wie Schreiben.

UP: Schreiben kostet viel mehr als nur Erzählen. Jedes Wort erwartet, verlangt und verschlingt dann mehr Beachtung. Noch intensiveres Erinnern. Und Hingabe. Ich habe versucht, noch einmal in die Situationen aus der eigenen Biographie zu gehen. Sie wieder zum Leben zu erwecken. Mich in den erinnerten Bildern zu bewegen. Hat man angefangen zu schreiben, will man noch mehr schreiben. Weil immer mehr Erinnerungen kommen, sich verdichten, mehr Raum in Anspruch nehmen. Neue Bilder entstehen, Situationen werden komplettiert.

JH: Vielleicht sollten wir an dieser Stelle erst einmal sagen, was das für Situationen und Lebensstationen sind. Bis Anfang der siebziger Jahre zum Beispiel haben Sie mit Ihren Eltern einige Jahre in São Paulo gelebt, später haben Sie in Ihrer Heimatstadt Dresden Industriekaufmann gelernt und als Totengräber gearbeitet, aber dann haben Sie das Theater entdeckt ...

UP: … wegen der angenehmeren Arbeitszeiten.

JH: Aber in der DDR durften Sie nicht Schauspieler werden und sind dann 1984 kurz vor Weihnachten in die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag gegangen. Und nach Ihrer Ausreise, als Sie schon in Westberlin gelebt und studiert haben, sind Sie in die Tschechoslowakei gefahren und verbotenerweise über die Grenze zurück in die DDR gegangen, nur um in Dresden mit Ihrer Freundin den alljährlichen Kunstfasching zu feiern ...
Haben Sie ein aufregenderes Leben gehabt als andere Leute? Oder die Fähigkeit, mehr aus etwas zu machen?

UP: Das Leben kann ziemlich aufregend sein. Für jeden. Ich habe oft instinktiv gehandelt. Weniger rational. Mein Nachbar zum Beispiel war Traktorist. Ich finde sein Leben nicht unaufregend, wenn er erzählt. Im Gegenteil. Er hat sein Leben in die Hand genommen. Und er ist voller Lebenslust.

JH: Lebenslust ist ein gutes Stichwort: Sie wollten leben und nicht einfach nur weitermachen, Sie wollten das Leben in Besitz nehmen und nicht nur irgendwie über die Runden bringen … 

UP: Irgendwie über die Runden bringen oder einfach nur mitspielen ist genau das, was ich nie wollte im Leben.

JH: Frauen spielen eine große Rolle. Sie verdanken den Frauen viel ...

UP: Ja. Sehr viel.

JH: Haben Sie sich beim Schreiben auf Materialien stützen können, oder mussten Sie sich auf die Erinnerung verlassen?

UP: In den meisten Familien meiner Generation gibt es noch analoge Hinterlassenschaften. Dias, Schwarzweißfotos, Urkunden, handgeschriebene Briefe, Arbeitsbücher. Für mich sind das Schätze. Das geht hin bis zu Gehaltsbescheinigungen und Fahrkarten. Das sind die Puzzleteile der einzelnen Kapitel. Dann fängt man an, Lunte zu riechen.

JH: Solche Dokumente gibt es zum Beispiel von Ihrem Großvater, der 1957 von einem Raddampfer in die Elbe gesprungen ist. Der es in vier Ehen und zehn Arbeitsstellen versucht hat und doch am Ende keinen Ort gefunden hatte, wo er bleiben konnte. Fühlen Sie sich ihm nahe?

UP: Ich habe versucht, ihn zu verstehen.

JH: Es scheint, Sie haben im Erinnern etwas in sich losgetreten ...

UP: In mir und mit alldem, was meine Familie und weitere Protagonisten betrifft. Jetzt wünsche ich mir, auch bei den Lesern etwas zu bewegen, vielleicht der Türöffner zu sein, eine Klinke in die eigene Geschichte. Zusammenfassend: Die Erzählung ging dem Erzähler voraus. So sagt man doch, oder?

JH: Echt? Ich nicht.

UP: Oder umgekehrt? Gut. Dann so: In den Menschen meiner Familie erkenne ich mich selbst wieder. Mal mehr, mal weniger. So wie ich in gleicher Weise jemand bin, in dem sich andere aus meiner Familie wiedererkennen können. Vorausgesetzt, man will das. Aber am Ende ist es ein gutes Gefühl, wirklich!

JH: Jetzt haben Sie das, was Sie erlebt haben, aber nicht einfach aufgeschrieben, sondern Ihr Buch hat einen ganz eigenen, sehr lakonischen Ton. Kurze Sätze, voller Auslassungen. Rhythmisch sehr sorgfältig gearbeitet.

UP: Das Lakonische ist nicht angeschafft, das gehört längst zu mir. Gelegentlich sogar sichtbar in meiner Arbeit vor der Kamera. Irritiert dann gelegentlich auch mal, aber man muss nicht alles erklären.

JH: Schreiben Sie weiter?

UP: Manchmal bin ich fassungslos über das, was ich erlebe. Ich glaube es selbst kaum. Das sind die Momente, wo ich ein Heft brauche und einen Stift. Skizzen, Dialogfetzen und das Vorher und Nachher. Heute benutze ich gern die Timeline meiner Foto-App. Dort finde ich die Inspiration. Ich mach kein Foto im Hotelzimmer. Aber auf dem Weg dahin.

Uwe Preuss

Uwe Preuss

Als Sohn eines Projektingenieurs und einer Technischen Zeichnerin wächst Uwe Preuss (*1961) in der DDR und Brasilien auf. Diverse Anläufe bei der Berufswahl: als Industriekaufmann im Laborbau oder Heizer in einem Ferienheim der Inneren Mission. Er war Kantinenleiter bei der Bauarbeiterversorgung, Lagerist in einer Stahlgießerei, Kistenbauer in einem Dampfsägewerk und Finanzbuchhalter – vor seiner Ausreise nach Westberlin. Dort studiert er Schauspiel an der Hochschule der Künste. Sein erstes Theaterengagement 1992 in Dresden, 1995 Wechsel ans Berliner Ensemble. Seit 2005 freischaffend. Gastauftritte an der Schaubühne, am Gorki-Theater und der Volksbühne Berlin. Seit zehn Jahren eher vertraut mit der Arbeit vor der Filmkamera (»Polizeiruf Rostock«, »Deutschland 83«).

  • Katzensprung
    Uwe Preuss

    Katzensprung

    In Dresden geboren, 1961. Opa ein urkundlich bescheinigter Hallodri. Oma macht aus jedem Einkauf einen Ausflug. Mit den Eltern für fünf Jahre nach São Paulo. Die hatten ihr eigenes System, danke. Kaufmännische Lehre in der ...

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